Auf der Plattform Onlyfans verkaufen Content-Produzent:innnen Foto- und Videomaterial an ihre Abonnent:innen – oftmals mit expliziten Inhalten. Doch wo lässt sich diese neue Form der Selbständigkeit einordnen – ist das Sexarbeit, Pornographie oder einfach nur Social Media?
von Andrea Gutschi und Raphael Gruber
“Guten Morgen, hier sind 10 Dollar.” So meldet sich einer von Kiras Abonnent:innen öfter mal über den Onlyfans-Chat. Die 24-Jährige betreibt seit sechs Monaten einen Kanal auf der Bezahlplattform. Zu Beginn abonnierten gleich mal über 50 vorwiegend Männer ihr Profil. Um 20 Dollar hat Kira damals ihre Monatsabos verkauft. Mittlerweile sind die Zahlen zurückgegangen; ihren Onlyfans-Feed und die Möglichkeit, ihr zu schreiben, bekommt man für 15 Dollar. Und vielen Abonnent:innen war der Content dann doch zu wenig freizügig. Aber “24 [Abonnent:innen] zahlen gut meine Stromrechnung”, lacht die gelernte Grafikerin, die heute neben ihrem Gastro-Job ein bis zwei Stunden pro Woche in Onlyfans investiert.
Die zehn Dollar, die der treue Abonnent ab und zu überweist, sind ein “tip”, ein Trinkgeld, das es zusätzlich zum Abopreis als Einnahmequelle gibt. Eine dritte Möglichkeit ist das Verschicken von Fotos und Videos über den privaten Chat, die gegen eine selbstbestimmte Summe, aber auch kostenlos, zur Verfügung gestellt werden können. Bei der Preisgestaltung lässt Onlyfans den Content-Produzent:innen viel Spielraum. Der Preis für ein Monatsabo muss aber zwischen mindestens 4,99 Dollar und maximal 49,99 Dollar liegen. Verkäufer:innen können wiederholte Käufe rabattieren. 20% aller Einnahmen gehen an Onlyfans.
Dennoch kann man mit der Plattform gut Geld verdienen. Als Kira noch täglich zwei Stunden in das Produzieren von Content für ihren Onlyfans-Account steckte, verdiente sie monatlich rund 1000 Euro. Kira wird für etwas bezahlt, das sie schon vor Onlyfans gerne gemacht hat – Bilder von sich in Unterwäsche über Social Media verbreiten. Früher bekamen ihre Follower:innen die Inhalte auf ihrem Instagram-Profil noch gratis zur Verfügung gestellt, heute erhält sie Geld für das Zeigen von etwas nackter Haut. Ist das schon Pornographie? “Pornographie wäre das, was ich mache, wenn es auf Pornhub oder Youporn nicht auffallen würde. Mir geht es auch immer um Ästhetik”, sagt sie. Das ist aber nicht bei allem, was man auf Onlyfans findet, so. Nicht umsonst wurde der Plattform-Gründer Tim Stokely von der Sunday Times als “king of homemade porn” betitelt.

Selbstständigkeit durch Selbstermächtigung
Onlyfans erinnert an die Plattform Instagram, hat sich aber zwei entscheidende Marktlücken zu Nutze gemacht: Instagram ist öffentlich und braucht daher Mechanismen zum Schutz von Minderjährigen. Dem Verbreiten pornographischer Inhalte versucht die Plattform mit dem Sperren eindeutiger Hashtags wie #sex oder dem Löschen bestimmter Inhalte entgegenzutreten. Auch wenn es immer noch nur 30 Sekunden braucht, um auf Instagram an pornographische Inhalte zu kommen, fehlt der Plattform ein weiteres Feature: Exklusivität. Onlyfans basiert auf einem kostenpflichtigen Abo-System. Wer zahlt, bekommt exklusive Fotos und Videos, aber auch Live Streams, zu sehen. Immer öfter stecken auch eigene Onlyfans-Agenturen und Manager hinter größeren Profilen.
Onlyfans startete nicht als Porno-Plattform und bietet auch heute noch Künstler:innen, Hobbyköch:innen oder Sportler:innen einen Raum, um Content ohne Werbung online zu verkaufen. Mit der Zeit rückten aber Erotik-Inhalte in den Hauptfokus der Plattform. Insgesamt zählt die Plattform aktuell 188 Millionen registrierte Nutzer:innen. Ihnen stehen 2,1 Millionen Content-Produzent:innen, die auf Onlyfans oft Creator:innen genannt werden, gegenüber. Die Beweggründe, die vor allem junge Frauen dazu bringen, Fotos, Videos und persönliche Botschaften gegen Entgelt mit Fremden zu teilen, sind vielfältig. Für viele ist es ein netter Nebenerwerb, ein Hobby. Andere führen ihre Accounts professioneller, kommen teilweise aus der Pornoindustrie und finden in Onlyfans eine selbstbestimmte, unabhängige Art, ihren Job auszuüben.
Dieser Wegfall von Abhängigkeitsbeziehungen stellt für die selbsternannte Pornowissenschaftlerin Madita Oeming das feministische Potential der Plattform dar. In einem Interview mit dem Nachrichtenportal „Watson“ sieht sie auch einen emanzipatorischen Effekt in der Vielfalt an Vorlieben und Körperbildern, die auf Onlyfans gelebt werden. Auch Kira findet es toll, dass sich Frauen heute so ausleben können wie sie wollen – und damit noch Geld verdienen können.
Das Problem mit den Daten
Dass Onlyfans für Selbstermächtigung steht, sieht Christian Knappik, Senior-Administrator von „sexworkers.at“, anders: “Die Leute, die sowas glorifizieren, sind Idioten, die keine Ahnung von der Materie haben.” Im Umkehrschluss hieße das nämlich, klassische Sexarbeiter:innen wären nicht selbstbestimmt und hätten keine Power.
Knappik vergleicht die Onlyfans-Gründer mit Bordellbetreibern. “Sie wollen beide mit den sexuellen Dienstleistungen anderer Geld verdienen. Wir warnen seit 20 Jahren vor solchen Portalen”, sagt Knappik. Doch auch er kenne Sexarbeiter:innen, die das System Onlyfans verlockend fanden und zusätzlich zu ihrer Arbeit im Bordell damit begonnen haben. Von den meisten habe Knappik erfahren, dass sie schon bald danach wieder aufgehört haben. Der Aufwand sei ihnen zu groß gewesen.
Die Abtretung der Bildrechte sieht Knappik ebenso problematisch. Wie wenig Macht sie über ihre eigenen Bilder hat, musste auch Kira nach nur einer Woche Onlyfans-Dasein erleben. Ihr gesamter Content war auf eigenen Onlyfans-Leak-Seiten zu finden, inklusive Verlinkung zu ihren Onlyfans- und Instagram-Profilen. Die Seite gibt es immer noch. Eine Möglichkeit, das bei Onlyfans zu melden, hat Kira nicht gefunden. Sie habe aber ohnehin damit gerechnet, dass das irgendwann passieren wird.
Eine Sozialarbeiterin der Tiroler Beratungsstelle iBUS (Innsbrucker Beratung und Unterstützung für Sexarbeiter*innen), die aufgrund ihrer Tätigkeit anonym bleiben möchte, warnt ebenfalls vor der Abtretung der Bildrechte. “Ich würde meinen Klient:innen sofort von Onlyfans abraten”, sagt sie. Die Konsequenzen eines Daten-Leaks seien einfach zu groß und sie wolle die Daten ihrer Klient:innen geschützt wissen.
Die digitale Sexarbeits-Schere
Trotz des Wunsches nach mehr Selbstständigkeit in der Sexarbeit seien bei iBUS nur wenige der Klient:innen auf digitalen Plattformen wie Onlyfans vertreten. Als Grund nennt die Sozialarbeiterin vor allem die fehlende digitale Kompetenz.
Neben der digitalen Schere gibt es noch andere Gründe, warum sich das Gewerbe der Sexarbeit grundlegend von Online-Plattformen wie Onlyfans differenziert. So wollen Sexarbeiter:innen nicht auf ihr Geld warten oder Abrechnungen machen, meint Knappik. Außerdem braucht es für Onlyfans einen Rückzugsort mit gutem Licht und einer guten Internetverbindung. “Es ist für viele leichter und angenehmer, eine Annonce zu schalten und gebucht zu werden, als sich mit der ganzen Technik herumschlagen zu müssen”, so Knappik.
Doch warum wird bei Onlyfans immer wieder von Sexarbeit gesprochen? “Das ist die politische Definition, unter die alles, das mit Sex zu tun hat, fällt”, erklärt die iBUS-Sozialarbeiterin. Also auch pornographische Inhalte auf Onlyfans. Rechtlich gesehen (siehe Tiroler Landes-Gesetz § 17 Abs. 3 bzw. § 18 Abs. 3 sowie das Wiener Prostitutionsgesetz von 2011 § 2) umfasst der Begriff Sexarbeit lediglich geschlechtliche Handlungen am eigenen oder am anderen Körper. Auch für Knappik ist Onlyfans allein deswegen keine Sexarbeit, weil die persönliche Interaktion mit den Kunden fehlt.
FinDom – ein Spiel mit der Kaufsucht
Anstelle des direkten Körperkontakts kommen sich Onlyfans-Creator:innen und Abonnent:innen auf andere Arten näher. Mitunter werden auch sogenannte “FinDom”-Beziehungen eingegangen. Gemeint ist damit “Financial Domination”, also finanzielle Dominanz. In Anlehnung an die unter dem Begriff BDSM subsumierten Sexualpräferenzen nimmt dabei eine Seite die Rolle der oder des “Dom” ein. Das Gegenüber unterwirft sich, ist der oder die “Sub” (für subordinate, der oder die Untergebene).
Die Unterwerfung hat in diesem Fall einen Preiszettel. Es geht nicht darum, sich physisch zu unterwerfen. Vielmehr verlangt der Dom-Part Geld oder Geschenke. Eine besondere Rolle kommt dabei der Amazon Wishlist zu, die Onlyfans-Creator:innen in ihren Profilen verlinken können. Der oder die Sub kommt den Wünschen mit der Aussicht auf noch exklusivere Inhalte nach. Häufig bleibt diese Belohnung aber aus. FinDom ist ein Psycho-Machtspiel – und birgt Suchtgefahr. Auf Reddit finden sich verzweifelte männliche Nutzer, die von ihrer Sucht, Frauen über Onlyfans tausende Dollar monatlich zu überweisen, erzählen. Einer von ihnen warnt sogar: “Please do not get into Onlyfans people you won’t want to stop.”
Kira findet diese Idee der finanziellen Ausbeutung abstoßend – das Phänomen ist ihr aber nicht ganz fremd. “Ich habe auch ein, zwei Kandidaten, denen es Freude bereitet, Kohle zu bezahlen”, sagt sie. Manche überweisen ihr das Geld auch über Paypal, um die Abgaben an Onlyfans zu umgehen. Überhaupt hat Kira keine Plattform-Treue; Content über Instagram zu schicken, nachdem ein zuvor vereinbarter Betrag gepaypalt wurde, ist für sie auch in Ordnung: “Auf welcher Plattform ich das mache, ist mir eigentlich egal.“