Frauen stemmen immer noch den Großteil der Aufgaben in Haushalt und Familie – unbezahlt. Das kommt ihnen teuer.
Was sehen wir vor unserem geistigen Auge, wenn wir an Arbeit denken? Denken wir an einen Vater, der Jausenbrote schmiert? An eine Mutter, die Schürfwunden versorgt? Elternschaft wird in unserer Gesellschaft gerne romantisiert, sie bedeutet aber auch Fürsorge-Arbeit. Arbeit, die in unserem Wirtschaftssystem ausgeblendet wird und doch unverzichtbar ist. Arbeit, die nicht bezahlt wird und die vor allem Frauen benachteiligt.
Ein Beitrag von Jolanda Allram und Anna-Lisa Bier

Auch wenn unbezahlte Arbeit nicht im Bruttoinlandsprodukt aufscheint: Ohne sie geht nichts. (BIP – misst die Wertschöpfung eines Landes) Denn bezahlte Arbeit können wir erst leisten, wenn unsere Kinder oder andere pflegebedürftige Personen versorgt sind. Den Großteil der Fürsorge benötigen dabei Kinder: in den ersten Lebensjahren etwa sieben Stunden pro Tag. Diese Fürsorge- oder, vom Englischen abgeleitet, Care-Arbeit wird immer noch überwiegend von Frauen geleistet.
Autorin Mareike Fallwickl thematisiert in ihrem Roman „Die Wut, die bleibt“ die weitreichenden Verpflichtungen von Müttern. Sie erzählt im Interview, was sie dazu bewegt hat, dieses Thema in einem Roman zu verarbeiten: „Im Februar 2021, im tiefsten Lockdown, habe ich täglich Nachrichten von Freundinnen bekommen, die auch Mütter sind. Sie haben geschrieben „Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr, ich spring einfach vom Balkon“. Dieser, im Idealfall hypothetische Satz, mit dem wir Verzweiflung ausdrücken, hat mich elektrisiert und ich habe gedacht: Was, wenn eine Mutter das wirklich tut?“
Eine Pandemie der Erschöpfung
Fallwickl geht in ihrem Roman vom schlimmsten Szenario aus: die Mutter begeht Selbstmord. Die massive psychische Belastung von Müttern ist aber nicht nur ein Fall für die Fiktion. In Deutschland haben Eltern-Kind-Kuren 2022 einen Ansturm erlebt. Seit 1983 werden in solchen Kuren vor allem Mütter mit Symptomen massiver Überlastung bis hin zum Burn-out behandelt. Bedarf gab es also schon vor der Corona-Pandemie, die die Situation von Müttern nochmal massiv verschärft hat.
Für Susanne Mierau, Pädagogin und Autorin, sind die Entwicklungen, die sich seit der Pandemie zeigen, besorgniserregend. Sie spricht im Interview von einer Care-Krise, in der wir uns befinden. Mierau betreibt neben ihrer Tätigkeit als Autorin erfolgreich den Eltern-Blog „Geborgen Wachsen“ und dazugehörige Social-Media-Accounts. Kindererziehung ist ihr Steckenpferd, in ihren letzten beiden Büchern „New Rebel Moms for Rebel Girls“ und „Mutter.Sein.“ widmet sie sich aber den Müttern. Aus ihrer Sicht sei wichtig gewesen, sich über die Art, wie wir Kinder großziehen Gedanken zu machen. „Aber wir haben vergessen, auch die anderen Personen mitzubetrachten, insbesondere die Mütter, die eben die meiste Care-Arbeit verrichten“, sagt Mierau. Unbezahlte Care-Arbeit werde weiterhin als selbstverständlich betrachtet. Die bislang vorhandenen Studien zeigen laut Mierau, dass während der Corona-Krise eine „Traditionalisierung“ stattfand – auf Kosten der Frauen und Mütter.
Für Fallwickl ist diese Entwicklung aber keine Überraschung: „Ich muss immer lachen, wenn es heißt, die Pandemie habe uns ‚in die Fünfzigerjahre zurückgeworfen‘, sagt sie. Für sie war es nie anders. Frauen hätten Zugang zu Bildung und Beruf bekommen, aber die anderen Aufgaben seien die gleichen geblieben. Die Pandemie habe die Lüge über Gleichberechtigung ein bisschen aufgedeckt und gezeigt, wie die Situation in Wahrheit sei. „Vielen Frauen ist zum ersten Mal aufgefallen, in welcher Lage sie sich befinden“, betont Fallwickl.
Caroline Berghammer forscht am Institut für Soziologie der Universität Wien zum Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Berghammer sieht durch die Pandemie keine andauernden Effekte auf die Verteilung von Care-Arbeit in Familien. Wie die Verteilung allerdings im Moment tatsächlich aussieht, sei schwer zu messen, die vorhandenen Daten seien zu alt. Berghammer erkennt in der langjährigen Betrachtung aber doch eine Tendenz zur Gleichverteilung. In dem langsamen Tempo, in dem sie voranschreitet, würde es jedoch Jahrzehnte dauern, bis diese erreicht sei.
Mehr Zeit mit Teilzeit
Frauen müssten „raus aus der Teilzeitfalle“. Dafür brauche es eine flächendeckende und vollzeitfähige Kinderbetreuung. Das wird gerne vor Wahlen als Lösung für das Problem propagiert. Wenn man bedenkt, dass Pädagog*innen in den allermeisten Fällen weiblich sind, würde diese Lösung lediglich ein Verschieben der weiblichen Care-Arbeit vom Haushalt zum Kindergarten bedeuten. Die prekären Arbeitsverhältnisse in Betreuungseinrichtungen und die schlechte Bezahlung von Pädagog*innen sind dabei weitere Probleme, die berücksichtigt werden müssen. Denn es ist nicht nur die Kinderbetreuung an sich, die von den Eltern geleistet wird: Arzttermine organisieren und wahrnehmen, Mitteilungshefte kontrollieren oder dafür sorgen, dass die Garderobe der Kinder zur Jahreszeit und Körpergröße passt. Viele kleine unsichtbare Tätigkeiten müssen auch erledigt werden, wenn man vollzeiterwerbstätig ist.
„Die Idee, wie wir das mit dem Kinderhaben in unserer Gesellschaft lösen,
Mareike Fallwickl
ist womöglich eine richtig schlechte Idee“
„Unsere Gesellschaft glaubt noch immer an das Wort „Vereinbarkeit“, dass Vollzeiterwerbstätigkeit und Care-Arbeit sich vereinbaren lassen. Aber das stimmt nicht“, sagt Mierau. „Care-Arbeit braucht enorm viel Zeit und ist auch Emotionsarbeit, die besondere Ressourcen benötigt. Es ist ein großer Fehler, von Eltern Vollzeiterwerbstätigkeit zu fordern“, sagt sie. Eine Überlastung durch den Job als auch die Arbeit zu Hause wirke sich nicht nur auf Eltern, sondern auch auf Kinder aus.
Die Zahlen zeigen: Mütter haben im Durchschnitt tatsächlich keine Zeit für Vollzeit, Väter immer noch zu wenig Zeit, um echte Verantwortung in Familien übernehmen zu können. 2021 haben rund 75,5 Prozent der Mütter mit Kindern unter 15 Jahren in Teilzeit gearbeitet. Bei Vätern waren es nur 7,5 Prozent. Dabei gibt es sie, eine junge Generation von Vätern, die Vaterschaft neu leben möchten und eine gerechte Verteilung der Care-Arbeit anstreben. Das ist oft schwierig, denn Teilzeitarbeit ist immer noch ein Karrierekiller. Für Männer genauso wie für Frauen.
Es geht aber auch anders. Der Familienvater Michael V. hat seine Arbeitszeit im vergangenen Herbst auf 30 Stunden reduziert. Mit dieser Entscheidung wollte er seiner Frau den Wiedereinstieg in ihr Berufsleben erleichtern. Er sagt: „Beruflich hat sich durch meinen Wechsel von Vollzeit auf Teilzeit bis auf die Stundenanzahl nicht viel geändert. Ich bin in meinem Ansehen weder gestiegen noch gesunken. Ich bin meinen Kolleg*innen sehr dankbar, meine Entscheidung so anzuerkennen.“
Wer skeptisch ist, durch Teilzeit nicht mehr die gleiche Qualität leisten zu können, wird von Michael beruhigt: „Teilweise ist der Wechsel auf Teilzeit noch nicht zu allen Kolleg*innen durchgedrungen. Das zeigt mir, dass ich trotz Teilzeit durchwegs in der Lage bin, gute Arbeit zu verrichten.“ Für Michaels Familie habe sich der Umstieg auf Teilzeit gelohnt, die Belastung in Form von Stress sei allgemein gesunken. Seine Frau sei ab Februar wieder berufstätig. Dann werde sich zeigen, ob die Entlastung auch nachhaltig war.
Entlastung, quanta costa?
Forscherin Berghammer plädiert für eine Balance in der Stundenanzahl, wie sie auch von den Arbeitnehmervertretungen gefordert wird. Die Arbeiterkammer und der österreichische Gewerkschaftsbund fordern seit 2021 einen Bonus für Eltern, die sich die Erwerbsarbeit so aufteilen, dass beide Elternteile etwa 30 Stunden arbeiten. „Das ist etwas, dass auf jeden Fall die Gleichstellung fördern kann“, sagt Berghammer. Hier könne man Anreize schaffen. Dass in Österreich viele Frauen etwa 20 Stunden arbeiten und Männer dafür im europäischen Vergleich viele Überstunden leisten, sieht sie kritisch.
Denn der Fakt, dass Teilzeit Familien entlasten kann, ist nur eine Seite der Medaille. Die andere Seite: die finanziellen Einbußen, auch in Hinblick auf die Pension. Laut Statistik Austria verdienen Frauen in Österreich für eine Stunde Arbeit 19 Prozent weniger als Männer. Damit zählt Österreich zu den Ländern mit dem höchsten Gehaltsunterschied zwischen den Geschlechtern in der EU. Gleichzeitig haben Eltern ohnehin weniger Geld zur Verfügung als kinderlose Haushalte, denn Kinder bedeuten zusätzliche Ausgaben. Das Zusammenspiel aus weniger Zeit und weniger Geld drängt vor allem Frauen in eine prekäre Lage, die weiter verschärft wird, sollte es zur Trennung der beiden Elternteile kommen.
Alleinerziehende sind in Österreich fast dreimal häufiger von Armut betroffen als der österreichische Durchschnitt. Das besagt eine Studie der WU Wien. Die Scheidungsrate von etwa 40 Prozent verdeutliche, dass eine Trennung kein unrealistisches Szenario sei, so Berghammer. Armut im Alter sei zudem weiblich. Die deutlich niedrigeren Pensionszahlungen an Frauen helfen dabei nicht. Im Jahr 2022 war der Equal Pension Day der 3. August. An diesem Tag haben Männer bereits die gleiche Pension bezogen, wie Frauen in einem ganzen Jahr.
Um Teilzeit für Eltern als Goldstandard zu etablieren, müssen die außerberuflichen Leistungen von Eltern als solche anerkannt werden. Hier ist die Politik gefragt: „Es gibt seit Jahrzehnten umsetzbare Lösungen, ähnlich der Kurzarbeit: dass beispielsweise der Staat ausgleicht, wenn wegen Fürsorgearbeit weniger Erwerbsarbeit geleistet werden kann oder ein „Fürsorgetopf, in den wir alle einzahlen“, sagt Fallwickl.
Familie gründen? So nicht!
Ist unter den bestehenden Voraussetzungen das Kinderhaben noch attraktiv für Frauen? Laut Berghammer sei die durchschnittliche Kinderanzahl pro Frau in Österreich zwar niedrig, allerdings stabil.
Ob das so bleiben wird? Fallwickl erkennt eine Tendenz: „Ich war für Lesungen an einigen Schulen und dort haben sehr junge Frauen ganz klar zu mir gesagt: Wenn die Gesellschaft so bleibt, wie sie ist, werden wir keine Kinder bekommen. Das finde ich verständlich und nachvollziehbar. Warum sollten sich Frauen die Doppel- und Dreifachbelastung weiterhin antun? Sie sehen ja, dass unser System darauf fußt, sie auszubeuten“. Auch Mierau sagt, dass es heute nicht sehr verlockend sei, Kinder zu bekommen: eine ungewisse Zukunft durch die Klimakrise, Inflation, kaum leistbarer Wohnraum für Familien, zu wenig und qualitativ minderwertige Kinderbetreuungsplätze. „Die Pandemie hat gezeigt, dass Familien auf sich gestellt sind und wenig politisch berücksichtigt werden. Wir brauchen eine kollektive, öffentliche Wut aller Sorgenden, um auf die Lage aufmerksam zu machen“, sagt sie.
Was es jetzt braucht
Aber was muss getan werden, um die Situation für Mütter zu verbessern? Die Expert*innen sind sich einig, dass es effektive Lösungsansätze der Politik braucht, die auf verschiedenen Ebenen ansetzt. Nicht nur der Care-Krise müsse entgegengewirkt werden, auch die Entscheidung für Kinder müsse wieder attraktiver gemacht werden: „Ein quantitativer Ausbau der Kinderbetreuung reicht nicht, wir brauchen auch einen qualitativen Ausbau“, so Mierau.
„Mit Sicherheit braucht es Frauen und Mütter in Entscheidungspositionen, am Besten viele von ihnen“, führt Fallwickl an und gibt zu bedenken, dass es ironischerweise genau Frauen und Müttern nach wie vor schwer gemacht wird, in jenen Positionen zu landen. Ihrer Meinung nach werde sich nicht viel zugunsten von Müttern verändern, solange bedeutsame Entscheidungen in der Familien-, Kinder- und Frauenpolitik hauptsächlich von Männern getroffen werden, deren erlebte Realität eine vollkommen andere sei, als die der Mütter: „Im Moment gibt es nur Politik, die an Kindern, Frauen und Familien vorbeigeht“. Zudem brauche es mehr Anreize für Väter, um tatsächlich Care-Arbeit zu leisten.
Ein weiterer Appell kommt von Mierau: „Wir brauchen weniger Arbeitszeit, damit wir überhaupt Zeit haben für Care-Arbeit. Viele pädagogische Probleme in Familien ergeben sich auf Basis von Stress: wir haben keine Zeit, um entspannt mit Kindern umzugehen, in Ruhe Zeit mit ihnen zu verbringen, sie zu beobachten und zu verstehen.“ Damit Pausenbrote nicht vergessen, Schürfwunden liebevoll versorgt, und Mütter entlastet werden.