„FetischBarbie“ bietet seit zwei Jahren im Internet sexuelle Dienstleistungen an. Wie ihr Alltag als Online-Domina aussieht und was sie sich als Sexarbeiterin von der Gesellschaft wünscht, verrät sie im Porträt.
Ein Porträt von Corinna Crestani, Hermine Gstaltner und Lara Marmsoler
Die Tür zum Arbeitszimmer öffnet sich. Zwei Wände sind bis zur Decke mit rotem Plüsch bedeckt. Auf einem verspiegelten Schrank stehen Stiefel aus rotem und schwarzem Lack, ein Schuhabsatz ist höher als der andere – unter 15 Zentimeter geht da nichts. Als „FetischBarbie“ merkt, dass die Blicke bei den nicht enden wollenden Absätzen hängen bleiben, lächelt sie und sagt: „Die habe ich auch nur beim Sitzen an.“
Sie nimmt das rote Paar vom Schrank herunter, setzt sich an ihren verspiegelten Arbeitstisch und zippt die kniehohen Stiefel zu. Dass sie die Schuhe erst hier anzieht, hat für sie einen rituellen Grund: „Ich habe ein Ritual, das ich vor und nach dem Cammen mache. Erstens mache ich das nur in diesem Raum. Ich ziehe mich auch in diesem Raum um und dort ziehe ich auch wieder meinen Pyjama an. Ich lasse das wirklich dort.“ Für „FetischBarbie“ ist das eine der Maßnahmen, die sie für sich ergriffen hat, um Privates und Berufliches klar zu trennen.
Was „FetischBarbie“ mit Cammen meint ist, dass sie regelmäßig in Live-Videochats zu sehen ist. Dabei sieht sie zwar niemanden, dafür sehen ihre Zuseher:innen sie ganz genau. Mit Videochats, Videocontent und OnlyFans verdient „FetischBarbie“ ihr Geld als Online-Domina. Die Plattform OnlyFans ermöglicht es insbesondere erotischen Gestalter:innen ihre Inhalte kostenpflichtig bereitzustellen. Das alles funktioniert durch ein Abo-System auf direktem Wege und ohne Zwischenstation.


Pandemie als Startschuss
Als „FetischBarbie“ vor zwei Jahren in ihrem Job als Ordinationsassistentin und in ihrer Beziehung unzufrieden war, beschließt sie im ersten Lockdown: „Scheiß drauf, ich mache jetzt Schluss und mache OnlyFans.“ Schon mit 16 Jahren beginnt ihr Interesse an Pornos und den – wie sie sie nennt – „künstlichen Frauen“, die darin vorkommen. Sie eifert dieser Ästhetik nach, färbt sich ihre Haare schwarz, lässt sich ihre Lippen regelmäßig aufspritzen und ihren Busen vergrößern. Sie ist akkurat geschminkt, trägt knallroten Lippenstift, der ihre großen Lippen betont, und lässt sich lange rote Acrylnägel machen.
„Als ich 18 war ist über Facebook von jemandem Namens „Sklave Real“ eine Nachricht gekommen. Der hat mir geschrieben, ob er sich mit mir treffen könnte, er würde viel Geld bieten und er würde gerne meine Füße ablecken“, als „FetischBarbie“ von diesem ersten Kontakt berichtet, erzählt sie wie schockiert sie von dieser Nachricht war. Mittlerweile sind derartige Anfragen ihr tägliches Geschäft und ihrer Beobachtung nach gewöhnlicher, als man denken mag: „Ich glaube alle haben irgendwas, auf das sie besonders stehen. Es gibt schon immer wieder einen Ausreißer, was total spannend ist und individuell, aber so richtig „weird“ ist für mich eigentlich nichts mehr.“
Anders als die Anderen
„Sie war schon immer anders als die Anderen“, erzählt eine alte Freundin über „FetischBarbie“. Und genauso beschreibt sie auch sich selbst und ihren Content. Durch ihren außergewöhnlichen Look und ihren sorgfältig kuratierten Online-Auftritt sticht sie im Sumpf des Mainstream-Pornos heraus. Laut „FetischBarbie“ weiß das ihr Publikum ganz genau: „Die Leute, die wirklich meine Stammkunden sind stehen nicht auf Mainstream und wollen auch nicht unbedingt „spreiz jetzt die Beine“. Die wissen, das kriegen die so in der Form nicht bei mir.“
„FetischBarbie“ wirkt auf den ersten Blick kühl und reserviert, doch ihre Authentizität und ihre unverblümte Art zu reden, machen die Distanz schnell wett. Sie selbst sagt, dass genau diese Echtheit mit ein Grund für ihren Erfolg ist. „FetischBarbie“ befindet sich unter den Top 1 % der OnlyFans-Creator. „FetischBarbie“ ist ihre eigene Chefin und entscheidet selbst welchen Content sie macht und unter welchen Bedingungen dieser produziert wird. Nicht alle Sexworker:innen genießen diese Privilegien, viele Mainstream-Pornos werden unter widrigen Umständen gedreht. Und trotzdem beobachtet sie immer öfters sie, dass besonders OnlyFans und ihre Creator schlechtgemacht werden: „Alle hassen Frauen, die OnlyFans machen. Aber alle holen sich einen runter auf einen Porno, wo sie nicht mal wissen, ob die Frau das wollte.“
Gesellschaftliche Doppelmoral
„FetischBarbie“ spricht immer wieder von einer Doppelmoral bezüglich Sexarbeit, die gesellschaftlich weit verbreitet ist. Sie betont, dass Zwangsprostitution Menschenhandel ist und nichts mit Sexarbeit zu tun hat, und erzählt davon, wie prekär die Situation für viele Arbeiter:innen ihrer Branche ist. „Sexarbeit ist nicht Körper verkaufen, sondern eine ganz normale Dienstleistung“, betont sie und fragt, wieso von Soldaten denn nicht behauptet wird, dass sie ihren Körper verkaufen würden.
Auch privat hat Sexarbeit oftmals für Konflikte gesorgt. Nicht alle Partner:innen von „FetischBarbie“ waren so entspannt wie ihr aktueller Freund, Beziehungen sind wegen ihrer Berufswahl in die Brüche gegangen. Sie erzählt davon, dass Eifersucht und Inbesitznahme für sie selbst und viele ihrer Kolleg:innen zu großen Problemen werden oder sogar dafür sorgen, dass sie keine Partner:innen finden.
Das sogenannte nordische Modell und seine Probleme
In aktuellen Debatten zum Thema Sexarbeit ist immer wieder das „nordische Modell“ im Gespräch. Dieses Modell verbietet den Kauf von sexuellen Dienstleistungen, also kriminalisiert nicht die Tätigkeit per se, sondern die Kund:innen. Einige Vereine wie das Beratungszentrum SOPHIE warnen deutlich vor einem Sexkaufverbot und sehen dabei nur eine Abwanderung in die Illegalität und somit weniger Möglichkeiten des Opferschutzes. „FetischBarbie“ beobachtet auch jetzt schon eine starke Isolation von Sexarbeiter:innen und sehnt sich nach mehr Aufgeschlossenheit: „Ich würde mir wirklich wünschen, dass man Sexworker:innen nicht mehr so an den Rand der Gesellschaft drängt. Weil die, die das wirklich nicht freiwillig machen, sind somit komplett abgeschottet.“
„FetischBarbie“ unterstreicht ihre Aussage mit ausgestrecktem Zeigefinger, die pointierte Gestik wirkt durch ihre langen Fingernägel noch eindringlicher. OnlyFans ist für sie ein Werkzeug der Selbstermächtigung und ermöglicht ihr Sexarbeit so zu gestalten, wie es für sie angenehm ist. Für heute loggt sie sich aber aus, klappt ihren Laptop zu, öffnet den Reißverschluss der roten Lackstiefel und schlupft in ihre Hausschlapfen. Sie dreht das Licht ab, verschließt das Arbeitszimmer hinter sich und verabschiedet sich, wie eine Normalsterbliche, in ihren Feierabend.